Zu den großen Heiligen unserer Zeit zählt Josemaría Escrivá de Balaguer[1], der Gründer des Opus Dei. Wenn es stimmt, dass in jede für Glauben und Kirche krisenhafte Zeit immer auch die Heiligen geboren werden, die den Anstoß zu einem Neuanfang geben, dann trifft das auf St. Josemaría in besonderem Maße zu.
Ein bescheidener Anfang
Es ist gerade einmal hundert Jahre[2] her, dass der junge Josemaría im spanischen Saragossa zum Priester geweiht wurde. Sein ganzes Leben wollte er nichts anderes sein als Priester. Die besondere Berufung wurde ihm drei Jahre später zuteil, als er erkannte „was Gott von ihm wollte“: Nicht einen weiteren Orden zu gründen, und schon gar nicht einen Verein oder eine Partei, sondern etwas völlig Anderes, eine ganz „laikale“ Bewegung, mit dem Ziel der Heiligung aller Gläubigen in ihrem normalen Alltag. Es war ein denkbar bescheidener Anfang des Opus Dei, mit kaum einer Handvoll Beteiligter, aber gerade deshalb passend zum „Heiligen des Alltäglichen“.
Der richtige Mann zur rechten Zeit
In eine Zeit, die geprägt war von totalitären, antichristlichen Ideologien, von radikalem Säkularismus und fortschreitendem Niedergang traditioneller Kirchlichkeit, brachte er das passende Heilmittel: Nicht den Rückzug hinter Kirchenmauern, nicht Flucht und Abschottung von der bösen Welt; sondern ganz im Gegenteil, die Heiligung aller Gläubigen am Ort ihres Alltagslebens, inmitten von Beruf, Familie und Gesellschaft. Das war neu und wirkte anfangs irritierend auf manche Zeitgenossen. Es war von urchristlicher Direktheit und wurde deshalb von einem lauen Klerikalismus ebenso gefürchtet, wie vom radikalen Atheismus.
Spirituelle Revolution?
Dadurch erklärt sich wohl auch die blinde Feindseligkeit, die dem Opus Dei – das Escrivá nie als „seine Gründung“ verstanden hat, sondern eben als „Werk Gottes“ – zuweilen entgegen schlug. Für den aggressiven Säkularismus unseres Zeitalters musste es provozierend wirken: Hier schickte sich einer an, die voranschreitende Verdrängung des Religiösen aus dem Alltag einfach zu ignorieren, sogar umzukehren und zu den Leuten hinaus zu gehen, um ihr Leben mit dem Glauben zu „infizieren“. Aber auch aus kirchlichen Kreisen kamen zuweilen Zweifel und Feindseligkeit gegen das Werk Gottes auf. Zu ungewohnt erschien seinerzeit der Gedanke, ein jeder könne „heilig werden“, auch ohne Priesteramt oder Ordensleben.
In der Mitte der Kirche
Inzwischen ist die Spiritualität des Opus Dei längst Gemeingut der Kirche geworden. Escrivá war ein echter Pionier der Laienfrömmigkeit, und der Einfluss seines Wirkens auf die entsprechenden Konzilsdokumente des Zweiten Vatikanum kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vor allem zwei sind hier zu nennen: Die dogmatische Konstitution „Lumen gentium“[3] von 1964, die u.a. den Begriff des „pilgernden Gottesvolkes“ prägte, und das Dekret „Apostolicam actuositatem“[4] von 1965 über das Laienapostolat. Beide Dokumente sind nicht bloßes Papier geblieben, sondern haben das Leben der Kirche bereichert. Papst Franziskus hat den Begriff des wandernden oder pilgernden Gottesvolkes immer wieder gern aufgegriffen.
Dass seine „Entdeckung“ Eingang in die Konzilsdokumente fand, dürfte für den Heiligen selbst wenig überraschend gewesen sein, wusste er doch, dass es sich nicht um seine Privattheologie handelte, nicht um akademische Thesen oder persönliche Vorlieben, sondern eine göttliche Berufung.
Wie sehr Escrivás Entdeckung recht verstandener Laienspiritualität inzwischen in der Mitte der Kirche präsent ist und in unserer Zeit segensreich weiter wirkt, oft auch unbemerkt, lässt sich z.B. an dem Apostolischen Schreiben „Gaudete et exsultate“[5] (2018) von Papst Franziskus über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute ablesen; es folgt quasi „eins-zu-eins“ aus dem Geist des Opus Dei.
Einheit des Lebens
Für Josemaría Escrivá stand fest: Wir können unser Christsein nicht auf bestimmte „fromme“ Zeiten beschränken und sonst ein ganz anderes Leben führen, so als habe Gott nichts damit zu tun. Es erfüllte ihn mit Trauer zu sehen, dass selbst als fromm geltende Menschen während der Woche beinahe heidnisch dachten und lebten, so als gebe es keinen Gott, weshalb sie nur gesellschaftlichen Konventionen und dem Zeitgeist folgten. Gegen diese Spaltung des Lebens in (überwiegend) Säkulares und (gelegentlich) Religiöses setzte er die Einheit des Lebens als Prinzip: Leben im Bewusstsein der Gegenwart Gottes; Leben „sub specie aeternitatis“, aber frei von jedem Klerikalismus.
Gotteskindschaft
Es gibt keine eigene Theologie des Opus Dei[6], aber eine besondere Spiritualität, die auf dem Begriff der „Gotteskindschaft“ beruht. Die Berufung aller Menschen zur Heiligkeit, die Heiligung der Arbeit und in der Arbeit und überhaupt im Alltag, das Verständnis der Ehe, das Leben aus den Sakramenten, die Vertiefung des Glaubenslebens und Glaubenswissens – all das geschieht nicht im Sinne eines Trainingsprogramms oder einer Weltanschauung, sondern als schlichtes Leben aus dem Glauben, im Wissen darum, dass wir alle geliebte Kinder Gottes sind. Dabei wird die persönliche Freiheit jedes Einzelnen immer stark betont. Ein wesentliches Zeichen gelebter Frömmigkeit im Opus Dei sind schließlich, ganz nach dem Willen des Hl. Josemaría, Freude, Fröhlichkeit und eine Art heilige Ungezwungenheit. Wie in einer guten Familie. Diese Spiritualität tut der Kirche und den Gläubigen gut.
[1]Geb. 1902 in dem kleinen nordspanischen Ort Barbastro; gest. in Rom am 26. Juni 1975. Vgl. a. https://opusdei.org/de-de/
[2]Vgl. hierzu: https://opusdei.org/de-de/article/damit-die-laien-christus-in-allen-bereichen-der-gesellschaft-gegenwaertig-machen/
[3]https://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19641121_lumen-gentium_ge.html
[4]https://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decree_19651118_apostolicam-actuositatem_ge.html
[5]https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20180319_gaudete-et-exsultate.html
[6]Das Opus Dei vertritt einfach die katholische Lehre, in Einklang mit dem Lehramt, nach dem Katechismus etc.