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In dieser Rubrik veröffentlichen wir wichtige Dokumente, die zum Themenbereich Erziehung, Schule, Bildung, Familie gehören und die auch heute noch aktuell sind und zum Nachdenken anregen.
Anlässlich der Eröffnung der Pastoraltagung 2007 der Diözese Rom in der Lateranbasilika hat Papst Benedikt XVI. eine bedeutende programmatische Ansprache zur Glaubenserziehung gehalten. Der Papst unterstreicht, dass das „Bewusstsein um die eigene Berufung, Zeugen Christi zu werden“, nicht etwas ist, „was später hinzugefügt wird – eine außerhalb der christlichen Erziehung anzusiedelnde Folgeerscheinung, wie man leider oft geglaubt hat und auch heute noch glaubt –, sondern es ist im Gegenteil eine Dimension, die der Erziehung zum Glauben und zur Nachfolge als wesentliches Element innewohnt“.
Liebe Brüder und Schwestern
Die Tagung steht unter dem Thema »Jesus ist der Herr. Zum Glauben, zur Nachfolge, zum Zeugnis erziehen«. Dieses Thema betrifft uns alle, weil jeder Jünger bekennt, dass Jesus der Herr ist, und weil jeder Jünger dazu berufen ist, in der Treue zu ihm zu wachsen und die große Gemeinschaft der Brüder im Glauben zu stützen und von ihr gestützt zu werden.
Das Entscheidende: Christus ist der Herr
Durch das im Tagungsthema enthaltene Wort »erziehen« wird jedoch die Aufmerksamkeit besonders auf die Kinder und Jugendlichen gelenkt und vor allem die Aufgabe der Familie in den Vordergrund gestellt. So setzen wir den Weg fort, der in den letzten Jahren unsere Diözesanpastoral gekennzeichnet hat. Besondere Beachtung müssen wir den Worten schenken, die das Thema einleiten und die den Stil und den Sinn unserer Tagung vorgeben: »Jesus ist der Herr«. Sie sind bereits im feierlichen Bekenntnis enthalten, das am Ende der Pfingstpredigt des Petrus steht, wo der Erste der Apostel gesagt hat: »Mit Gewissheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt« (Apg 2,36). Ähnlich endet der große Christushymnus, der im Brief des Apostels Paulus an die Philipper enthalten ist: »Jeder Mund bekennt: ›Jesus Christus ist der Herr‹ – zur Ehre Gottes, des Vaters« (2,11). Der hl. Paulus ruft auch im Gruß am Ende des Ersten Briefes an die Korinther aus: »Wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht! Marána tha – Unser Herr, komm!« (1 Kor 16,22). So überliefert er uns die uralte Anrufung Jesu, des Herrn, in aramäischer Sprache. Man könnte noch weitere Zitate anführen. Ich denke dabei an das zwölfte Kapitel desselben Briefes an die Korinther, wo der hl. Paulus sagt: »Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet« (1 Kor 12,3). So erklärt er, dass dies das grundlegende Bekenntnis der vom Heiligen Geist geführten Kirche ist.
Wir könnten auch an das zehnte Kapitel des Briefes an die Römer denken, wo der Apostel Paulus sagt: »Wenn du mit deinem Mund bekennst: ›Jesus ist der Herr‹…« (Röm 10,9). Damit erinnert er auch die Christen von Rom daran, dass dieses Wort – »Jesus ist der Herr« – das gemeinsame Bekenntnis der Kirche ist, die sichere Grundlage des ganzen Lebens der Kirche. Aus diesen Worten hat sich das ganze Apostolische und das Nizänische Glaubensbekenntnis entwickelt. Auch an einer anderen Stelle des Ersten Briefes an die Korinther sagt Paulus: »Und selbst wenn es im Himmel oder auf der Erde sogenannte Götter gibt…« – und wir wissen, dass es auch heute viele sogenannte Götter auf der Erde gibt – »so haben doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn« (1 Kor 8,5–6). So haben die Jünger von Anfang an im auferstandenen Jesus denjenigen erkannt, der unser Bruder in der menschlichen Natur ist, der aber auch eins ist mit Gott. Sie haben in ihm denjenigen erkannt, der uns mit seinem Kommen in die Welt und in seinem ganzen Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung Gott gebracht hat, der Gott auf eine neue und einzigartige Weise in der Welt gegenwärtig gemacht hat – denjenigen also, der unserem Leben Sinn und Hoffnung verleiht. In ihm finden wir das wahre Antlitz Gottes, finden wir das, was wir wirklich zum Leben brauchen.
Erziehen zum Glauben heißt Beispiel geben
Zum Glauben, zur Nachfolge und zum Zeugnis erziehen bedeutet, unseren Brüdern oder besser einander zu helfen, in eine lebendige Beziehung mit Christus und mit dem Vater einzutreten. Das war von Anfang an die wesentliche Aufgabe der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, der Jünger und der Freunde Jesu. Die Kirche – Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes – ist jene vertrauenswürdige Gemeinschaft, aus der wir hervorgehen und in der wir erzogen werden, um in Christus Kinder und Erben Gottes zu werden. In ihr empfangen wir den Geist, »in dem wir rufen: Abba, Vater!« (Röm 8,14–17). Wir haben gerade in der Predigt des hl. Augustinus gehört, dass Gott nicht fern ist, dass er der »Weg« geworden ist und dass der »Weg« selbst zu uns gekommen ist. Er sagt: »Steh auf, du Faulenzer, und mache dich auf den Weg!« Sich auf den Weg machen bedeutet, in der Gemeinschaft der Gläubigen auf dem »Weg« voranzuschreiten, der Christus selbst ist. Es bedeutet, voranzugehen und uns dabei gegenseitig zu helfen, wirklich Freunde Jesu Christi und Kinder Gottes zu werden.
Die Erziehung zum Glauben ist heute nicht einfach
Die tägliche Erfahrung lehrt uns – und das wissen wir alle –, dass die Erziehung zum Glauben gerade in unseren Tagen nicht einfach ist. Jede Erziehungsarbeit scheint heute in Wirklichkeit immer schwieriger und unzulänglicher zu werden. Daher ist die Rede von einem großen »Erziehungsnotstand«, von den immer größeren Schwierigkeiten, die die Weitergabe der Grundwerte des Lebens und eines aufrichtigen Verhaltens an die jungen Generationen bereitet. Diese Schwierigkeiten gibt es in der Schule ebenso wie in der Familie und wohl auch in jeder anderen Einrichtung, die sich erzieherische Ziele setzt. Wir können hinzufügen, daß es sich um einen Notstand handelt, der unvermeidlich ist, denn in einer Gesellschaft und in einer Kultur, die aus dem Relativismus nur allzu oft ihr Credo macht – der Relativismus ist zu einer Art Dogma geworden –, in solch einer Gesellschaft fehlt das Licht der Wahrheit. Von Wahrheit zu sprechen, wird sogar als gefährlich, als »autoritär« betrachtet, und am Ende zweifelt man daran, dass das Leben gut ist – Ist es gut, ein Mensch zu sein? Ist es gut zu leben? –, und man zweifelt am Wert der Beziehungen und der Verpflichtungen, die das Leben bestimmen. Wie soll man unter diesen Umständen als einzelner oder als Gemeinschaft den jungen Menschen etwas vermitteln können, was wertvoll und gewiss ist, und es von Generation zu Generation weitergeben – Lebensregeln, den wahren Sinn des menschlichen Lebens und überzeugende Ziele?
Gefahr der Verflachung von Erziehung
Daher gibt es die weitverbreitete Tendenz, die Erziehung auf die Weitergabe bestimmter Fähigkeiten oder Fertigkeiten zu beschränken. Den Wunsch der jungen Generationen, glücklich zu sein, versucht man dadurch zu kompensieren, dass man sie mit Konsumprodukten überhäuft und ihnen kurzlebige Freuden verschafft. So geraten sowohl die Eltern als auch die Lehrer leicht in die Versuchung, sich ihrer Erziehungspflicht zu entziehen, und verstehen nicht einmal mehr, welche Rolle oder besser gesagt Sendung ihnen anvertraut ist. Aber so geben wir den Jugendlichen, den jungen Generationen, nicht das, was wir ihnen vermitteln sollen. Wir schulden ihnen auch die wahren Werte, die dem Leben eine Grundlage geben.
Das wesentliche Ziel von Erziehung erkennen
Aber dieser Zustand ist natürlich unbefriedigend und muss unbefriedigend sein, weil er das wesentliche Ziel der Erziehung außer acht lässt: die Ausbildung des Menschen, damit dieser in Fülle leben und zum Wohl der Gemeinschaft beitragen kann. Von mehreren Seiten wird daher der Ruf nach wahrer Erziehung immer lauter, und man verspürt wieder den Bedarf an Erziehern, die wirkliche Erzieher sind. Dieser Ruf kommt von Seiten der Eltern, denen die Zukunft ihrer Kinder Sorge und oft Angst macht, von Seiten vieler Lehrer, die die traurige Erfahrung des sittlichen Niedergangs an ihren Schulen machen, und von Seiten der Gesellschaft als ganzer, sowohl in Italien als auch in vielen anderen Nationen, weil sie durch die Erziehungskrise die Grundlagen des Zusammenlebens in Frage gestellt sieht. In einem solchen Zusammenhang tragen die Bemühungen der Kirche um eine Erziehung zum Glauben, zur Nachfolge und zum Zeugnis Jesu, des Herrn, mehr denn je auch dazu bei, unsere Gesellschaft aus der auf ihr lastenden Erziehungskrise herauszuführen, indem sie das Misstrauen und jenen seltsamen »Selbsthass«, der ein Charakterzug unserer Gesellschaft geworden zu sein scheint, eindämmt.
Die jungen Menschen zu Gott führen
Dadurch werden jedoch die Schwierigkeiten, denen wir begegnen, wenn wir die Kinder und Jugendlichen zur Begegnung mit Jesus Christus und zum Aufbau einer dauerhaften und tiefen Beziehung mit ihm führen, nicht geringer. Und dennoch ist es die entscheidende Herausforderung für die Zukunft des Glaubens, der Kirche und des Christentums und daher eine grundlegende Priorität unserer Pastoralarbeit, die junge Generation, die in einer Gott zum großen Teil fernstehenden Welt lebt, näher zu Christus und zum Vater zu bringen.
Priorität der Gnade
Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen uns stets bewusst sein, dass wir ein solches Werk nicht aus eigenen Kräften vollbringen können, sondern nur durch die Kraft des Heiligen Geistes. Es bedarf des Lichtes und der Gnade, die von Gott kommen und die im Innersten des Herzens und des Gewissens wirken. Für die christliche Erziehung und Ausbildung ist daher vor allem das Gebet und unsere persönliche Freundschaft mit Jesus entscheidend: Nur wer Jesus kennt und liebt, kann seine Brüder in eine lebendige Beziehung mit ihm hineinführen. Und gerade diese Notwendigkeit hat mich auf den Gedanken gebracht, dass es nützlich wäre, ein Buch zu schreiben, das hilft, Jesus kennenzulernen. Wir dürfen niemals vergessen, was Jesus gesagt hat: Ich habe »euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt« (Joh 15,15–16). Daher werden unsere Gemeinschaften dann fruchtbringend wirken und zum Glauben und zur Nachfolge Christi erziehen, wenn sie selbst echte »Schulen« des Gebets sind (vgl. Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte, 33), in denen der Primat Gottes gelebt wird.
Bedeutung der persönlichen Begleitung
Die Erziehung, insbesondere die christliche Erziehung, also die Erziehung dazu, das eigene Leben nach dem Vorbild Gottes zu gestalten, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8.16), braucht jene Nähe, die für die Liebe eigentümlich ist. Vor allem in der heutigen Zeit, in der Isolierung und Einsamkeit weit verbreitete Phänomene sind, gegen die auch Lärm und Gruppenkonformismus keine wirkliche Abhilfe schaffen können, ist die persönliche Begleitung wichtig, die den Heranwachsenden die Gewissheit schenkt, geliebt, verstanden und angenommen zu sein. Durch die Begleitung sollen sie die konkrete Erfahrung machen können, dass unser Glaube nicht der Vergangenheit angehört, daß er im Heute gelebt werden kann und dass wir, wenn wir ihn leben, wirklich unser Glück finden.
So kann den jungen Menschen geholfen werden, sich von weit verbreiteten Vorurteilen zu befreien, und sie können sich bewusst werden, dass die christliche Lebensform realisierbar und vernünftig ist, ja sogar bei weitem die vernünftigste. Die ganze christliche Gemeinschaft in ihren verschiedenen Untergliederungen und Bestandteilen muss sich an der großen Aufgabe beteiligen, die jungen Generationen zur Begegnung mit Christus zu führen. Auf diesem Gebiet muss daher unsere Gemeinschaft mit dem Herrn und untereinander, unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit, zur »Vernetzung«, zum fruchtbringenden Zusammenwirken mit offenem und aufrichtigem Herzen besonders deutlich zum Ausdruck kommen, angefangen bei dem wertvollen Beitrag jener Frauen und Männer, die ihr Leben der Anbetung Gottes und der Fürsprache für die Brüder geweiht haben.
(wird fortgesetzt)