Freitag, 3 Mai, 2024

Erziehungsziel Leben

Schmitz, Kotulla, Ernst, Löw

Sammelband S09

15 €


Immer wieder blicken wir fasziniert auf die Sorge von „Tiereitern“ um ihre Neugeborenen, die zum Mythos geworden ist in der Darstellung des Pelikan, der sich die Brust zur Fütterung seiner Kleinen öffnet, um sie mit seinem Blut vor dem Verhungern zu bewahren. Daneben erleben wir im Tier- wie im Menschenreich Grausames: Macht- und Überlebenskämpfe, Kriege, Auseinandersetzungen auf Leben und Tod. Nur der Mensch ist in der Lage, das Leben als Geschenk, als unschätzbaren Wert zu begreifen, das Gott als Schöpfer und Vater ihm anvertraut und in seine Verantwortung entlassen hat.

Dieser Sammelband trägt den Titel „Erziehungsziel Leben“, weil es um die Erziehung zur Verantwortung im Umgang mit dem Leben als unantastbares Gut geht, das nicht der beliebigen Verfügbarkeit des Menschen unterstellt ist. Anders als bei Tieren, deren Einsatz für das Leben ihrer Natur entspricht, ist heute bei vielen die Tendenz auszumachen, das Leben nicht mehr als. Wert an sich anzusehen. Das Autonomiestreben des Menschen macht heute nirgends halt. Er erträgt seine Geschöpifichkeit nicht mehr. Entfernt er sich aber von dieser grundlegenden Wahrheit, dann sieht er weder sein Leben noch das der anderen so wie es ist, wahrheitsgemäß. Ein Titel, in dem das Leben selbst zum Erziehungsziel erhoben wird, tritt aber auch mit dem Anspruch auf, aus wirklichkeitsgerechter Sicht, aus dem sittlich-religiösen Eingebundensein des Menschen in eine Ordnung, in der er nicht selbst das Maß aller Dinge ist, Hinweise für ein richtiges Leben geben zu können.

Im Einleitungsvortrag von Elisabeth Schmitz wird daher die Frage nach den Werten gestellt, die unverzichtbare Grundlage sind für ein menschenwürdiges Überleben in einer Zukunft, die von vielen, auch von jungen Menschen, als mit Fragezeichen und Schrecken belastet, angesehen wird. Inwieweit können und müssen Werte wieder neu aktualisiert werden, um den Menschen vor dem befürchteten Untergang zu bewahren?

Die Frage nach der objektiven Seite des Fortschritts ist Inhalt des Beitrags von Bernhard Kotulla. Das diffuse Gefühl, undurchschaubaren Mechanismen und anonymen Vorgängen wehrlos ausgeliefert zu sein, führt zu jener Unsicherheit, die gerade bei vielen jungen Menschen bemerkenswerte Probleme in ihrer Einstellung zum Leben auslöst. Inwieweit auch künftig der Mensch darüber entscheidet, zu welchem Zweck Technik eingesetzt und verwendet wird, ist die Frage, die sich im Anschluß an diese
Ausführungen stellt.

Wie geht der Mensch mit dem Menschen um, wie steht er zum Leben? Dieser Frage geht Siegfried Ernst im längsten Beitrag dieses Sammelbandes nach. Das viele Menschen belastende und ihr Gewissen herausfordernde Schreckliche der Tatsache, daß in der Bundesrepublik jährlich an die 300.000 Ungeborene abgetrieben, also getötet werden, ist in einer Zeit, in der das soziale Empfinden für die Schwachen und Entrechteten gewachsen ist, in der das Engagement für die Tier- und Pflanzenwelt unser Bewußtsein für das Leben geschärft hat, ein unverständlicher Skandal, eine Erblast, die unsere Generation sich und ihren Nachkommen aufbürdet. Aufklarend, beschwörend, aber auch Lösungen anbietend fordert dieser Beitrag zur Besinnung auf.
Von einer anderen Warte aus greift Reinhard Löw die Frage nach der Verfügungsgewalt des Menschen über das Leben auf, nach seiner Berechtigung, in dieses Leben einzugreifen, korrigierend, aber auch manipulierend. Die Gentechnik ist zu einem Überlebensthema für die Zukunft geworden.

Alle Beiträge treffen sich in der Frage nach der Zukunft des Menschen, die wesentlich entschieden wird in seiner Einstellung zum Leben selbst. Das bestimmt seine Werte und Ziele, den richtigen Umgang mit dem Leben und das richtige Leben selbst, seine Achtung und Ehrfurcht vor dem Menschen: Auf diesem Feld entscheidet sich unsere und die Zukunft der nächsten Generation wesentlicher als in den Fragen nach dem rechten Umgang mit unserer technischen Welt, auch wenn diese heute mehr Unsicherheit, Angst und Schrecken auslöst.

Elisabeth Schmitz, geb. 1921; Studium der Germanistik und Pädagogik in Bonn, München, Berlin, Mainz; 1965 Dr.phil.; 1965 Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Trier; seit 1969 Professorin für Germanistik und Didaktik an der
Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz.

Bernhard Kotulla, geb.1931; 1950-56 Studium des Bauingenieurwesens im In- und Ausland; 1957-62 Statiker in Ingenieurbüros; 1963-67 Wiss. Assistent an der TU Hannover; 1968 Dr.Ing.; 1968-73 Akademischer Oberrat an der Ruhr-Universität Bochum; 1974-78 Techn. Direktor der Strabag-Bau AG Köln; seit 1978 Professor für Industrielles Bauen/Massivbau an der Bergischen Universität-GH-Wuppertal.

Siegfried Ernst, geb. 1915; Studium der Medizin in Tübingen und Rostock; 1939 Assistent an der chirurgischen Universitätsklinik München; als Chirurg Einsatz im Krieg; seit 1945 niedergelassener Arzt in Ulm. Mitglied des Ulmer Stadtrates; Mitglied der evangelischen Landessynode; Vorsitzender der Europäischen Ärzteaktion in den deutschsprachigen Ländern.

Reinhard Löw, geb. 1949; Studium der Mathematik, Pharmazie, Geschichte, Philosophie in München; 1973 appr. Apotheker; 1977 Dr.rer.nat.; 1979 Dr.phil.; 1982 Habilitation in Philosophie; 1977-84 Wiss.Assistent, dann Professor für Naturphilosophie an der Universität München. Internationale Preise zur Wissenschaftsgeschichte (Oxford 1978), Anthropologie (Barcelona 1985).