Am 9. August 1945 wurde die Stadt Nagasaki von der Explosion der Atombombe in Schutt und Asche gelegt. Wie drei Tage zuvor in Hiroshima, tötete die Explosion zigtausende Menschen auf der Stelle; unzählige andere starben in den Wochen, Monaten und Jahren danach. Jene Tage markierten das Ende des Zweiten Weltkrieges, für viele Opfer aber den Anfang eines qualvollen Siechtums. Unter den Opfern der Bombe war eine große Zahl japanischer Katholiken[1], denn Nagasaki war seit jeher das Zentrum des Christentums in Japan.
Zentrum der japanischen Katholiken
Das hatte schon mit der ersten christlichen Mission im Lande durch den Hl. Franz Xaver begonnen, Ende des 16. Jahrhunderts. Und nicht zufällig wurden auch die ersten christlichen Märtyrer während der Christenverfolgungen durch das Tokugawa-Shogunat[2] im Jahre 1597 gerade in Nagasaki gekreuzigt. Und es war wiederum in Nagasaki, dass sich 1865, in der Zeit der sog. Meiji-Reformen, die ersten „verborgenen Christen“ wieder zu zeigen wagten, einfache fromme Menschen, die unter schwersten Bedingungen und in ständiger Gefahr die Verfolgungen überlebt hatten.
Ein vergessenes Jubiläum
Die Lage der japanischen Katholiken blieb damals noch lange prekär. Um so mehr Bewunderung verdient es, dass sie – eine kleine, marginalisierte Minderheit – schon im Jahre 1895 mit dem Bau einer stattlichen Kathedrale in Nagasaki begannen. Es gleicht einem Wunder, dass sie ein solches Projekt überhaupt auf den Weg bringen konnten. Der gesamte Bau wurde mit zahllosen Kleinspenden und größtem, aufopferndem Einsatz der Gläubigen ermöglicht und vor nunmehr hundert Jahren fertiggestellt. Bei ihrer Weihe am 5. Dezember 1925 war die Urakami-Kathedrale die größte Kirche in Ostasien – gewissermaßen „ein Zeichen für die Völker“, jedenfalls sichtbares Zeichen gelebter Frömmigkeit und der Universalität des katholischen Glaubens.
Die Glocken von Nagasaki
Die Urakami-Kathedrale stand nur ca. 500 Meter vom „Hypocenter“, dem „Ground Zero“ der Atombombe, entfernt; entsprechend vollständig war die Zerstörung. Und wiederum glich es für die Überlebendem einem Wunder, dass es gelang, aus den Trümmern der Kirche eine ihrer Glocken fast unversehrt zu bergen. Dass sie aufgefunden und geborgen wurde, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Paul Takashi Nagai, einem schon zu Lebzeiten berühmten Arzt, dem Pionier der Radiologie in Japan. Er war ein frommer Katholik und Überlebender der Atombombe; seine Frau gehörte zu den ersten Opfern[3]. Und obwohl er selbst schwer leidend war, initiierte Nagai[4] die Suche in den Trümmern der Kathedrale, die jene eine unversehrte Glocke zum Vorschein brachte. Sie wurde auf dem Trümmerfeld provisorisch aufgestellt und läutete wieder in der Nacht zum 25. Dezember 1945.
Die in der Nachkriegszeit, wiederum unter aufopfernder Beteiligung der katholischen Bevölkerung, wiedererrichtete, Ende 1959 fertiggestellte neue Urakami-Kathedrale, ist kleiner und schlichter als der Vorgängerbau. Für einen vollständig originalgetreuen Wiederaufbau fehlten die Mittel[5]. Ein besonderer Schatz ist seither jene Glocke, die so wunderbar aus den Trümmern der Kirche geborgen worden war. Sie fand ihren Platz in einem der beiden Türme der Kathedrale. Der Glockenstuhl des anderen Turms blieb leer – bis jetzt.
Zeichen des Friedens und der Versöhnung
Zur Gedenkfeier für die Opfer der Atombombe am 9. August 2025, um 11.02 Uhr, genau achtzig Jahre nach der tödlichen Atomexplosion, erwartet die Menschen in Japan eine ganz besondere Premiere: Zum ersten Mal wird wieder ein vollständiges Geläut von der Urakami-Kathedrale erklingen – und zwar als Teil der Feierstunde am „Hypozentrum“, die im ganzen Land übertragen und auch weltweit online verfügbar sein wird. Ein besonders bedeutsames und anrührendes Detail ist es, dass die zweite Glocke, die dem Vorbild der ursprünglichen nachempfunden ist, aus den USA kommt. Sie hat nun ihren Platz im bisher leeren zweiten Glockenturm gefunden.
Ein Amerikaner auf den Spuren Nagais
Dr. James L. Nolan Jr., Professor für Soziologie am Williams College in Williamstown, Massachusetts, hatte sich zu Recherchen für ein Buch längere Zeit in Nagasaki aufgehalten und u.a. diverse Interviews geführt. Die Anregung eines seiner Gesprächspartner, ob es nicht schön sei, wenn Amerikaner für den Ersatz der fehlenden Glocke sorgten, hatte ihn nicht mehr losgelassen. Und so startete er jene bewundernswerte Initiative[6], die innerhalb erstaunlich kurzer Zeit die Mittel zum Gießen einer neuen Glocke zusammenbrachte. Die Glocke trägt den Namen der Heiligen Kateri Tekakwitha, der ersten heiliggesprochenen indigenen Amerikanerin. Ihr ist ein Institut in Williamstown gewidmet, das beim Spendensammeln maßgeblich beteiligt war. Prof. Nolans Interesse an Nagasaki ist nicht rein akademischer Natur. Sein Großvater war leitender Mediziner am „Manhattan Project“ in Los Alamos, wo die Atombombe entwickelt und der Typ der Nagasaki-Bombe zum ersten Mal getestet wurde.
[1]Darunter 8.500 von 12.000 Katholiken der Urakami-Gemeinde. Die gelegentlich zu hörende Behauptung, Nagasaki sei gerade als Zentrum der japanischen Katholiken zum Ziel der Bombe geworden, gehört ins Reich der Legenden und Verschwörungstheorien. Das „primäre“ Ziel am 9.8.1945 war die Stadt Kokura. Nagasaki wurde wetterbedingt und aus technischen Gründen als Ersatzziel ausgewählt: Technokratisch gefühllose, kalte Präzision, nicht antikatholische Verschwörung.
[2]Die Tokugawa-Shogune verboten das Christentum und begannen grausame, lang anhaltende Christenverfolgungen. Japan wurde bis zur Mitte des 19. Jh. komplett nach außen abgeschottet.
[3]Ein Seligsprechungsverfahren für Paul Takashi Nagai und seine Frau Midori ist inzwischen eingeleitet worden.
[4]„Die Glocken von Nagasaki“ ist der Titel des berühmtesten Werkes von Nagai. Er schrieb trotz schwerster Leiden nach dem Krieg etliche ergreifende Bücher. Manche seiner Werke wurden vom japanischen Erziehungsministerium als Schullektüre empfohlen. So wurden erstmals Schriften eines Katholiken in Japan amtlich gewürdigt.
[5]Eine an die ursprüngliche Kirche erinnernde Ziegelfassade wurde 1980 angebracht, rechtzeitig vor dem Besuch des hl. Papstes Johannes Paul II. in Nagasaki im Februar 1981, an den eine Stele am Haupteingang der Kathedrale erinnert.
[6]Den Hinweis auf diese schöne Initiative verdanke ich Herrn Prof. Dr. Shinichiro Araki, Professor emeritus der Nagasaki Junshin Catholic University.
[1]Darunter 8.500 von 12.000 Katholiken der Urakami-Gemeinde. Die gelegentlich zu hörende Behauptung, Nagasaki sei gerade als Zentrum der japanischen Katholiken zum Ziel der Bombe geworden, gehört ins Reich der Legenden und Verschwörungstheorien. Das „primäre“ Ziel am 9.8.1945 war die Stadt Kokura. Nagasaki wurde wetterbedingt und aus technischen Gründen als Ersatzziel ausgewählt: Technokratisch gefühllose, kalte Präzision, nicht antikatholische Verschwörung.
[2]Die Tokugawa-Shogune verboten das Christentum und begannen grausame, lang anhaltende Christenverfolgungen. Japan wurde bis zur Mitte des 19. Jh. komplett nach außen abgeschottet.
[3]Ein Seligsprechungsverfahren für Paul Takashi Nagai und seine Frau Midori ist inzwischen eingeleitet worden.
[4]„Die Glocken von Nagasaki“ ist der Titel des berühmtesten Werkes von Nagai. Er schrieb trotz schwerster Leiden nach dem Krieg etliche ergreifende Bücher. Manche seiner Werke wurden vom japanischen Erziehungsministerium als Schullektüre empfohlen. So wurden erstmals Schriften eines Katholiken in Japan amtlich gewürdigt.
[5]Eine an die ursprüngliche Kirche erinnernde Ziegelfassade wurde 1980 angebracht, rechtzeitig vor dem Besuch des hl. Papstes Johannes Paul II. in Nagasaki im Februar 1981, an den eine Stele am Haupteingang der Kathedrale erinnert.

























