Eltern können ihren Söhnen helfen, den Sprung aus einer verspielten Kindheit ins Erwachsenendasein zu schaffen. In einem Beitrag habe ich die vielfältigen Berichte über schlechte Ausbildungs- und Berufsleistungen von Jungen im Vergleich zu Mädchen kommentiert und auf die wachsende Sorge hingewiesen, dass viele Jungen in einer Gedankenwelt der Pornographie, des Sports und der Videospiele gefangen sind.

Es gibt nicht „die Jugendlichen“

Das soziale Umfeld hat sich in fataler Weise verändert und junge Männer, die einst den „wilden Westen“ besiedelten und die robuste Wirtschaft unseres Landes aufbauten, sitzen heute gelangweilt in Klassenzimmern oder Bürocontainern. Das Bedürfnis des Mannes, sich zu bewähren, um unabhängig zu werden, wird nicht gestillt, wenn er im Fernsehen den Ballspielen seiner Nationalhelden zuschaut.

Und, obwohl es vielleicht schon für den Hasch– und Bier–abhängigen Schwager nicht mehr möglich ist, sich zu ändern, kann man doch eine Menge tun, dieses Schicksal den heranwachsenden Jungen zu ersparen.

Zunächst möchte ich allerdings klarstellen, dass ich der „Bad Seed“-Theorie nicht anhänge. Böse Saat (Originaltitel: The Bad Seed) ist ein US-amerikanischer Kriminalfilm aus der Ära des „Film noir“ des Regisseurs Mervyn LeRoy aus dem Jahr 1955, nach dem gleichnamigen Kriminalroman von William March und dem darauf basierenden Bühnenstück von Maxwell Anderson. Die Uraufführung in Deutschland fand am 28. September 1956 statt.

Es gibt keine universal gültigen Regeln

Es geht um Rhoda, ein Mädchen, das vor nichts, auch nicht vor Mord, zurückschreckt, um das zu bekommen, was sie will. Das Kind liebender und nüchterner Eltern erscheint als Inkarnation des Teufels. Ich erwähne dies hier, denn obwohl ich selbst nie einem wirklich durch und durch bösartigen Kind begegnet bin, kenne ich doch gute Eltern, deren Kinder geradezu Tefloneigenschaften zu besitzen scheinen, an denen alle guten Einflüsse ihres Umfelds wirkungslos ablaufen.

In ihrem Drang, sich selbst zu verwirklichen, sehen sie ihre Eltern als Feinde, die es zu bekämpfen gilt. Es gibt sicher eine Reihe Teenager-Monster, die sich zu egomanischen Menschenfressern entwickeln, doch durchläuft eine große Zahl eine erstaunliche Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling, wenn sie erwachsen werden. In der Zwischenzeit wurden die Eltern jedoch durch die verschiedenen Abgründe von Dante’s Inferno getrieben. Es gibt keine universal gültigen Regeln für die Kindererziehung. Empfehlungen, ja; eiserne Regeln, nein.

Neues Kind, neue Priorität

Zunächst muss klar sein, dass die Erziehung eines Kindes die oberste Priorität für die Eltern hat, besonders dann, wenn das Kind ein Junge ist. Ob der Nachwuchs geplant war oder nicht, spielt hier keine Rolle. Wenn ein Kind ankommt, muss ihm die Spitzenposition in der Familie zukommen. Seine Erziehung ist wichtiger als berufliche Karrieren von Vater und Mutter, wichtiger als ihre Liebesbeziehung, als Freundschaften und natürlich als Sport, Erholung und Vergnügen. Es geht nicht darum, diese Aktivitäten aufzugeben, sondern sie den neuen Verantwortlichkeiten unterzuordnen.

In früheren Zeiten, als Eltern meist Bauern waren, oder einen kleinen Laden führten, lagen Erziehung und Ausbildung ausschließlich in ihren Händen und wurden sehr ernst genommen. Und der Anreiz war hoch: Söhne waren überlebenswichtiges Kapital und, de facto, die Versicherungspolice für das Alter. Es ging darum, aus einem Jungen einen loyalen und aufrechten Mann zu formen. 

In der heutigen Zeit wird Erziehung und Ausbildung weitestgehend Schulen, Ausbildungslagern und professionellen Jugendarbeitern übertragen. Immer weniger Kinder folgen beruflich den Fußstapfen ihrer Eltern und diese wiederum können ihren Kindern kaum noch bei den Hausaufgaben oder bei der Arbeit am Computer helfen.

Der Bereich, in dem sich Schulen ebenso wie Jugendarbeiter regelrecht austoben, ist „Moral-Training“. Eine der eher zweifelhaften Segnungen einer demokratischen Multi-Kulti-Gesellschaft ist, dass prinzipiell die Vermittlung ethischer Werte oder Richtlinien der Moral ein gesellschaftliches „No-No“ bedeuten. So ist es nur folgerichtig, dass Zweiterzieher da, wo Eltern ihren Kindern keine moralischen Werte vermittelt haben, einspringen.

Das Temperament des Kindes kennen

Die zweite Priorität besteht darin, das Temperament des Kindes kennen zu lernen. Die Entscheidung, sein Kind gut zu erziehen, ist ein erster, wichtiger Schritt, doch zu wissen, was man erreichen möchte und auf wen sich die Erziehungsarbeit fokussiert, ist essentiell. Der friedliche Schlaf des Sohnes in der Wiege, oder sein Krabbeln auf dem Wohnzimmerteppich, lassen wenig Rückschlüsse auf seine einzigartigen Charaktereigenschaften zu. Diese werden erst dann deutlich, wenn er gelernt hat, den Fernseher einzuschalten, wenn er sein Schwesterchen mit dem Spielzeug schlägt, das sie ihm nicht überlassen will und den Hund immer wieder ärgert, egal, wie oft er deswegen gescholten wird. An diesen Punkten wird die Verantwortung der Eltern herausgefordert und es muss gehandelt werden.

Der Versuch, ein Kind in den Griff zu bekommen, gleicht dem Versuch, Mücken mit einem Luftgewehr zu bekämpfen. Die Psychologie mag hier hilfreich sein, doch gibt es ein System, das einen Einblick in den Charakter des Kindes vermitteln hilft. Die Zuordnung zu den vier Temperamenten: cholerisch, melancholisch, sanguinisch und phlegmatisch bietet seit den alten Griechen, bis in die Moderne, eine Einsicht in Charaktereigenschaften.

Die Temperamente

Das System ist alt und seine Begrifflichkeiten schon ein wenig angestaubt, und doch sind die Feststellungen überraschend und heute noch gültig. Conrad Hock ist der Autor einer kurzen, aber äußerst nützlichen Beschreibung der Temperamente als Basis von Persönlichkeitsmerkmalen. Das besondere dieses Beitrags ist die Anleitung, wie man individuelle Verhaltensmuster und Veranlagungen beleuchtet. Die Handlungen und Stimmungen eines Jungen ein wenig besser einzuordnen und zu bewerten, kann sich als unbezahlbar erweisen.

Es gibt natürlich noch andere und unmittelbarere Wege, ein Kind in den Griff zu bekommen: z. B. ein Gespräch zu führen. Dies kann jedoch Bestandteil des Problems sein, insbesondere, wenn der Sohn sich bereits zum Sorgenkind entwickelt hat. Als Erwachsene sind wir zu oft geneigt, ihm einen Vortrag zu halten oder an ihm herum zu nörgeln. Doch ist für einen Jungen nicht der „Weise auf dem Podium“, sondern vielmehr der „Freund an der Seite“ wichtiger.

Eltern als Chauffeure

Viele Eltern verbringen einen nicht geringen Teil ihres Lebens als Chauffeure ohne Uniform, die ihre Kinder zur Schule und zum Sport, zu Übungsstunden und zum Zahnarzt fahren. Solche gemeinsamen Fahrten, Vater oder Mutter allein mit dem Sohn, bieten hervorragende Gelegenheiten zu reden. Statt Radio zu hören und zuzusehen, wie der Sohn mit flinken Fingern nach passender Musik sucht, oder allein mit seinem iPhone in seinen Lieblingssound abtaucht, kann Vater/Mutter solche Fahrten zu Gelegenheiten unbeschwerter Konversation werden lassen, bei der es mehr aufs Zuhören, als auf Belehrung ankommt. Hier besteht eine gute Chance herauszufinden, was dem Sohn gefällt und wo ihn der Schuh drückt.

Das einzige Problem bei der Suche nach dem, was zwischen den Ohren des Sohnes gerade wichtig ist, ist, dass es zeitkritische Ereignisse sind. Wenn man meint, die Gefühlslage des Kindes verstanden zu haben, verwandelt es sich vielleicht in eine völlig andere Person. Die eigene Vorstellung über ein Kind korrigieren und anpassen zu können, ist eine häufig unterschätzte, aber wichtige elterliche Überlebenstechnik.

Formung von Gewohnheiten und Charakter

Drittens sollten Eltern gute Gewohnheiten fördern. Man sagt zu Recht, dass wir alle „Gewohnheitstiere“ sind. Gewohnheiten sind die Arbeitserleichterungsmechanismen des Lebens. Wir alle haben gute und schlechte Gewohnheiten, die unsere Reaktionen und unser Verhalten bestimmen. Seit den alten Griechen werden die individuellen Gewohnheiten und Neigungen als Charakter eines Menschen bezeichnet.

Kinder kommen auf die Welt mit Anlagen, nicht jedoch mit Gewohnheiten. Sie sind wie Ton, der in Form gebracht werden muss. Wir Menschen durchleben eine lange Zeit der Abhängigkeit, bevor wir in der Lage sind, eigenständig in der Welt zu leben. Wir werden unterwiesen, uns zu ernähren, uns mit anderen auszutauschen, kurz, die Gewohnheiten eines Individuums zu erwerben, das sich selbst versorgen und für die Gesellschaft einen Beitrag leisten kann. Darüber hinaus müssen insbesondere Männer lernen, ihr Temperament zu zügeln, Auseinandersetzungen ohne Gewalt auszutragen und die Schwachen zu beschützen.

Vermittlung guter Gewohnheiten

Vermittlung guter Gewohnheiten und Überwindung schlechter Gewohnheiten ist das Wesen einer guten Erziehung. Dabei geschieht ein guter Teil der Vermittlung ganz nebenbei durch Beispiele. Der anglo-irische Parlamentarier Edmund Burke schrieb dazu: „Das Beispiel ist die Schule der Menschheit und sie werden nirgendwo anders lernen.“

Das mag diese große Persönlichkeit ein wenig übertrieben haben, doch muss sich ein schnell erregbarer und explosiver Vater nicht wundern, wenn sein Sohn aufbegehrt, wenn er ihn nicht auf eine Spritztour mit dem neuen Auto mitnimmt. Wenn das blanke Chaos im Arbeitszimmer des Vaters herrscht, wird das Zimmer des Sohnes kaum ein Musterbeispiel penibler Ordnung sein.

Eltern sind jedoch beileibe nicht die einzigen Vorbilder im Leben eines Kindes. Fernsehen und Schule vermitteln dem „modernen“ Kind beinahe unablässig (Vor)Bilder, die seine Gewohnheiten beeinflussen. Eltern sollten deshalb nicht nur ihr eigenes Beispiel kritisch prüfen, sondern auch versuchen, unerwünschte Einflüsse auf ihre Kinder zu filtern und zu relativieren. Während es sicher einige Kinder gibt, die gute Charaktereigenschaften durch Nachahmung erwerben, geht es bei den meisten nicht ohne ein forciertes Training.

Ein langer Weg

B.F. Skinner, Gründer des sog. Behaviorismus, wurde zum Albtraum aller Erzieher, als er postulierte, dass niemand zum Lehrberuf zugelassen werden solle, der nicht zuvor erfolgreich eine Ratte trainiert habe. Das war zwar nicht besonders diplomatisch, doch brachte er so die Aufgabe der Erwachsenen auf den Punkt, genau hinzuschauen und den Kindern zu helfen, notwendige Gewohnheiten zu erwerben.

Aristoteles, der weltkluge Philosoph wurde einmal gefragt: „Wie wird ein Mann tugendhaft?“, [also ein Mensch mit guten Gewohnheiten]. Seine Antwort war: „Ein Mann wird liebenswürdig, wenn er liebenswürdige Dinge tut. Er wird tapfer, wenn er Tapferkeit ausübt.“ Deshalb ist die Anleitung der Kinder und die Belohnung positiver Schritte auf dem Weg zu guten Gewohnheiten so wichtig. Vater/Mutter als „Freund an der Seite“ bewirken viel mehr als ein „nörgelnder Beobachter“.

Es ist zweifellos eine langwierige und beschwerliche Unternehmung. Die Arbeit ist erst dann getan, wenn das Kind, oder der junge Mann selbst zum Charakter-Trainer reift, wenn er also bewusst eigene Gewohnheiten einübt. Es bedeutet u. U. Verzicht auf entspannende Golfspiele mit Freunden oder andere liebgewordene Aktivitäten und verlangt nicht zuletzt von den Eltern so wichtige Tugenden wie Geduld, Ausdauer und ach ja, auch Demut.

Aber es zahlt sich aus, wenn der Sohn eines morgens von einer Übernachtung bei Freunden nach Hause kommt und erzählt, dass er und seine Kumpane die Schnapsvorräte im Haus konsumiert haben und danach sturzbesoffen waren. Und er fährt fort und sagt: „Weißt du, es tut mir leid, die Kerls sind Blödmänner. Ich muss mir wirklich neue Freunde suchen.“ Oder, der Nachbar erzählt dem Vater, dass er stolz auf seinen Sohn sein kann, der bei ihm die Wiese so sauber gemäht hat, und wie seine eigenen Kinder zu ihm aufschauen…

Eine Anmerkung zum Schluss: Ich fragte kürzlich einen Freund, Vater zweier handfester, rechtschaffener Söhne und zweier schon verheirateter Töchter, die gute Ehemänner in die Familie gebracht haben, nach seinem Rat, wie man am Besten einen Jungen erzieht. Seine Antwort, kurz und bündig: „Bleib verheiratet, Scheidung macht Kinder kaputt.“

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Kevin Ryan
Kevin Ryan gründete das „ Center for the Advancement of Ethics and Charakter an der Boston University“, wo er als Professor em. lehrt. Er publizierte und verlegte 20 Bücher. Erst kürzlich wurde er von folgenden Programmen: CBS's "This Morning", ABC's "Good Morning America", "The O’Reilly Factor", CNN and the Public Broadcasting System zum Thema Charakterbildung interviewt.