Nur wer frei ist, kann sich binden. Ehe und Familie sind die natürliche Schule gelebter freier Bindung von Personen und ihr besonderes Bewährungsfeld. 

Das Grundgesetz gebietet den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6). Er wurzelt unmittelbar im Bekenntnis zur unantastbaren Menschenwürde (Art. 1). 

Von ihr ist politisch national wie international viel die Rede. Um der Freiheit willen. Der Mensch ist ein Freiheitswesen: Person. Deshalb kommt ihm Würde zu.

Jede Person ist einzigartig, einmalig. Und trifft freie Entscheidungen. Gäbe es nur mich allein. selbst dann würde jede freie Entscheidung mich binden, weil sie andere Möglichkeiten ausschließt. Zu meiner Lebenswirklichkeit gehört indes das Miteinander mit anderen Personen. Deren Würde habe ich anzuerkennen. Denn Würde kommt darin zur Geltung, dass sie Anerkennung findet.

Mensch, Person, Würde

Dass „Einmaligkeit“ und „Miteinander“ kein Widerspruch ist, vielmehr eine lebendige Spannung unserer Freiheit, zeigt schon die gewaltige Freiheitsstatue in New York. Ihre rechte Hand hebt die Flamme der Freiheit, die linke hält das Gesetzbuch. 

Es enthält die Regeln der Anerkennung der gleichen Würde aller. Im privaten Miteinander gewährleistet diese Anerkennung, dass ich Verträge und Versprechen halte, dass ich Vertrauen erfahre, Freunde habe, dass ich mich auf sie verlassen kann, dass ich nicht einsam bin, dass es so etwas gibt wie Treue, wenn es um ein Lebensprojekt geht wie bei der Ehe und Gründung einer Familie.

Mensch, Personsein, Würde: Darunter wurde nicht zu allen Zeiten und wird nicht überall Gleiches verstanden – womöglich nicht einmal bei uns. Unter allen Wesen der belebten Natur gilt der Mensch als etwas Besonderes. Weil Gott ihn nach seinem Abbild geschaffen hat, sagt die Bibel, und weil Gott selbst Mensch geworden ist. 

Aber auch derjenige, dem die Bibel nichts sagt, weiß sich einmalig, unaustauschbar, Individuum; erfährt sich als Subjekt seines Ich-Bewusstseins, mit Verstand und freiem Willen, so dass sein Handeln ihm zugerechnet wird, als Inhaber von Rollen und Träger von Rechten. 

Wir sprechen von „Person“. Personen sind je einzigartig. Seinem Wesen nach ist jeder Mensch Person. Personen kommt Würde zu – gleiche Würde: Menschenwürde. Im Bekenntnis zur „unantastbaren“ Menschenwürde wurzeln Menschenrechte. Handelt es sich um das Bekenntnis zu einer Wahrheit oder um eine – ggf. erfahrungsgesättigte – Vereinbarung?

Reichen die genannten Merkmale aus, um das Personsein auszuschöpfen? Sie betonen ein in sich abgeschlossenes Individuum. Einen Hinweis auf das Verhältnis zu anderen Personen enthalten sie nicht. Wäre die genannte Aufzählung eine Checkliste von Fähigkeiten, die hier und jetzt gegeben sein müssen, um von einer Person zu sprechen, wäre die Aussage, jeder Mensch sei Person, in Frage gestellt. 

So bestreiten neuerdings einige Neurowissenschaftler die Willensfreiheit – ein wesentliches Merkmal von Person. In den Debatten um das Lebensrecht wird das Argument laut, es gebe Menschen, die nicht, noch nicht, nicht mehr Personen sind, weil sie zu bestimmten Leistungen des Verstandes oder Bewusstseins nicht, noch nicht oder nicht mehr fähig sind, sei es aufgrund ihres Entwicklungsstadiums, von Behinderung oder Krankheit.

Eine begriffliche Unterscheidung von Mensch und Person würde für die Anerkennung der Menschenwürde Bedingungen einführen. In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom Jahr 2000 war in Art. 1 zu lesen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, während bei den folgenden Grundrechten dann von Rechten der Person die Rede war: „Jede Person hat das Recht auf Leben“. Das wurde in den Fassungen der Charta von 2004 und 2007 geändert: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.“

Die Menschenwürde ist unantastbar

Das Bekenntnis zur unantastbaren Menschenwürde besagt, jedem Menschen komme – weil Person – „gleiche Würde“ zu. Obwohl wir doch üblicherweise dem Inhaber eines höheren Amtes besondere Würde zuschreiben. 

Bei der Würde des Königs oder der Amtswürde des Präsidenten der Republik haben wir es aber mit einem gänzlich anderen Typus von Würde zu tun als bei der Menschenwürde. Im interkulturellen Dialog sorgen solche Fragen nicht selten für Verständnisprobleme.

Ein Jahr nach den in Peking auf dem Tianamen-Platz mit Gewalt niedergeschlagenen Demonstrationen, trafen sich 1990 in Köln deutsche Freunde mit zwölf Intellektuellen aus China und diskutierten ein Wochenende lang über „Freiheit, Demokratie, Menschenrechte – Verstehen wir eigentlich alle dasselbe?“ 

Sind das Universalbegriffe, die kulturübergreifend eindeutig, also prinzipiell jedermann gleichermaßen verständlich sind? Freitagabend herrschte Konsens: Wir verstehen dasselbe. Samstagabend herrschten Zweifel, Sonntagmittag Meinungen vor, man müsse, um genauer zu sehen, doch wohl tiefer in die europäische Geschichte und christliche Begriffswelt eindringen, ehe man universal gleiche Bedeutung unterstellt.
Menschen wertzuschätzen, ist selbstverständlich auch in China ein ethisches Gebot. Vor allem gegenüber Angehörigen der Familie, Personen mit Verantwortung für das Gemeinwohl, Freunden, Nachbarn oder schlicht Mitbürgern. 

Der Gedanke, Menschen unterschiedslos wertzuschätzen, weil sie Menschen sind, erschien weniger bedacht. Auf die Frage, ob eine wertgeschätzte Person ihre anerkannte Würde auch verlieren oder verwirken kann – etwa infolge Versagen oder Verbrechen –, herrschte eher Schweigen. 

Der Einzelne wird vor allem wahrgenommen als Glied in einem Familien- und Sippenzusammenhang oder identifiziert mit dem Amt, das er innehat.

Jedem Menschen steht Menschenwürde zu

In Stammesgesellschaften bezieht sich, wie der berühmte französischer Ethnologe und Soziologe Marcel Mauss feststellt, der persönliche Name weniger auf die Person als auf eine bestimmte vorgegebene Rolle innerhalb einer Rangordnung des Clans. 

Der Mensch werde erst dann zunehmend als vollwertige Person anerkannt, wenn er den ihm auferlegten Pflichten nachgekommen ist. Daraus folgt ungleiche Würde, von der theatralisch zelebrierten Würde des Mächtigen bis hin zur Würdelosigkeit der Ausgestoßenen.

Die Achtung der Person mit unverlierbarer Menschenwürde, wie wir sie verstehen, verlangt indes, dass niemand „ausgestoßen“ oder ausgenommen wird. 

Im Alten Testament findet sich für die Angehörigen des Gottesvolkes der Begriff Bruder. Wer nicht dazugehörte, war aus diesem vertrauten „Wir“ ausgegrenzt. Dieses „Wir“ hat Christus globalisiert: Seine Erlösung gilt allen. „Wir“ meint nun alle Menschen. Würde eignet jeder Person, weil sie Mensch ist.

Person ist mehr als Rolle

In einer anderen Gesprächsrunde ging es um Charakter, um die Übereinstimmung von Reden und Verhalten. Herr Rudolf, Unternehmer bemerkte plötzlich: „Wie oft wünsche ich mir, dass der Familienvater Rudolf, der Unternehmer Rudolf, der Kirchgänger Rudolf und der Kommunalpolitiker Rudolf wirklich ein und dieselbe Person ist.“

Jedermann nimmt im täglichen Leben unterschiedliche „Rollen“ wahr. Das ist normal und gut. Person und Rolle wird aber oft verwechselt. Offenbar empfand Herr Rudolf ein „Ich selbst“, das sich in seinen Rollen äußern und sich zugleich darin verlieren kann. 

Das moderne öffentliche Leben, zumal die Mediengesellschaft, verleitet viele, in dieser oder jener Rolle aufzugehen – für manche geradezu ein Zwang zur Selbst-Inszenierung in der gewählten Rolle. 

Der Sohn eines Freundes verbrachte wegen der beruflichen Abwesenheit der Eltern von Kindheit an täglich viele Stunden vor dem Fernseher. Als 13-jähriger nahm er teil an einem Schulausflug nach Bonn – damals noch Bundeshauptstadt. Einschließlich Begegnung mit Bundeskanzler Kohl. Abends erzählt der Junge den Eltern, der Bundeskanzler sei aber anders gewesen, als er wirklich sei. Mediengerecht inszeniert muss ein Bundeskanzler wohl in der Tat mehr Bundeskanzler sein als es das persönliche Dasein hergibt.

Person und Rolle nicht zu unterscheiden, ist indes kein neues Phänomen. Das Wort Person entstammt dem antiken Theater und bedeutete dort Maske, Rolle. Noch heute steht auf dem Theaterprogramm: Die Personen und ihre Darsteller.

Verständnis der Dreifaltigkeit

„Gott schaut nicht auf die Person“ heißt es mehrfach noch im Neuen Testament. Obwohl nach unserem Verständnis wohl doch gemeint ist, Gott schaue nicht auf die Rolle, vielmehr gerade auf die Person. 

Der Wandel der antiken Wortbedeutung von Person im Sinne von Rolle zum Träger einer Rolle („Darsteller“) kommt erst 300 Jahre später. Er verdankt sich den Bemühungen der griechisch-römisch gebildeten Welt um eine gedankliche Erfassung der christlichen Glaubensgeheimnisse. 

Jesus von Nazareth – wahrer Gott und wahrer Mensch: Da handelt es sich nicht um zwei Rollen, sondern um zwei Naturen oder Wesenheiten in einer Person. Trinität / Dreifaltigkeit: Der seinem Wesen nach einzige Gott in drei Rollen? – Nein. 

Die Hl. Schriften berichten von dem einen und einzigen Gott und zugleich von Gesprächs- und Austauschbeziehungen zwischen Vater, Sohn und Hl. Geist. Gespräche finden zwischen Personen statt. 

Also „drei Personen“, aber in der gewandelten Wortbedeutung. Die Verschiedenheit der drei göttlichen Personen ist allein bestimmt durch die enge Beziehung miteinander und aufeinander, ihre Zugewandtheit zueinander in vollkommener hingebender Liebe.

Aus dem christlichen Menschenbild mit seinem Verständnis von Personsein, Würde und Rechten des Menschen sind die frühen philosophischen und auch theologischen Bemühungen nicht wegzudenken. 

Auch im christlichen Menschenbild gehört zur Person das Miteinander, eine dialogische Wirklichkeit, die Beziehung zu einem Du, zu anderen Personen – in Offenheit für Liebe und Hingabe. Denn Gott hat den Menschen nach seinem Abbild geschaffen. 

Zudem ist die göttliche Liebe fruchtbar. Ihr verdankt sich die Schöpfung. So legt die eheliche Liebe den Gedanken einer Teilhabe an der Fruchtbarkeit der göttlichen Liebe nahe. Ehe wird zur Familie: Mutter-Vater-Kind – ein irdischer Abglanz von „Dreieinigkeit“: Bild und Ermutigung zu einem Leben miteinander in Würde.