Teil 2: Arbeitsethos auf katholisch

Spiritualität der Arbeit

Über alle sozialgeschichtlichen Befunde und gesellschaftspolitischen Erwägungen hinaus stellt sich, insbesondere mit Blick auf den Einzelnen, eine grundsätzliche Frage: Wie steht es mit der katholischen Arbeitsethik? Wie mit dem katholischen Verständnis der Arbeit überhaupt? Eine ausführliche Antwort, die den Bogen spannt von der Option für die Armen bis zum Lob des klugen Wirtschaftens[1], findet sich in der Enzyklika „Laborem exercens“[2] des Hl. Papstes Johannes Paul II., die er 90 Jahre nach „Rerum novarum“ schrieb, eine Sozialenzyklika, die zugleich den Rang der Arbeit im Leben eines jeden einzelnen Menschen beschreibt.

Anknüpfend an das Zweite Vatikanische Konzil, insbesondere die Konstitution „Gaudium et spes“, hebt der Papst darin auch den spirituellen Wert der menschlichen Arbeit hervor[3], denn diese ist „Teilnahme am Werk des Schöpfers“[4]. Eine größere Wertschätzung kann man der menschlichen Arbeit wohl kaum erweisen. Aber das ist naheliegend, denn auch Jesus Christus war „ein Mann der Arbeit“[5] und hat den größeren Teil seines irdischen Wirkens als Handwerker in Nazareth zugebracht.

Fluch oder Segen?

An dieser Stelle ist es angebracht, einmal darüber nachzudenken, was eigentlich unter „Arbeit“ in diesem Sinne zu verstehen ist. Dabei müssen wir vorab zwei Fehler oder Missverständnisse ausräumen:

Einerseits geht es nicht um einen Arbeits-Kult. Eine Verselbständigung der Arbeit als Wert an sich führt in die Irre und kann in extremis zu solchen Scheußlichkeiten wie dem Prolet-Kult totalitärer kommunistischer Herrschaft führen. Auf jeden Fall hat eine solche Fehlinterpretation sicher zur Folge, dass der Mensch hinter der Arbeit zurücktritt, „verzweckt“ und letztlich ausgebeutet wird. Aber wir leben nicht um zu arbeiten, sondern wird arbeiten um zu leben.

Andererseits ist Arbeit aber auch nicht als „Fluch“ zu betrachten. Es wäre eine Fehlinterpretation der biblischen Botschaft, dass der Mensch „zur Strafe“ arbeiten müsse. Die zu Unrecht oft belächelte Erzählung von Schöpfung und Sündenfall enthält auch hierzu eine tiefe Weisheit, die wir leicht übersehen: Schon im Garten Eden war der Mensch aufgerufen, diesen zu bearbeiten und zu erhalten[6]. Also gehört das Arbeiten von Anfang an zum menschlichen Leben; es ist ein Element der „Gottesebenbildlichkeit“ des Menschen.

Work-Life-Balance

Zur Arbeit gehört natürlich auch die Arbeitsruhe, Muße. Das muss wohl nicht besonders betont werden, gerade hierzulande. Die Deutschen können hart arbeiten, aber sie sind auch Urlaubs-Weltmeister[7]. Das ist völlig in Ordnung – und es entspricht natürlich ebenfalls der biblischen Botschaft; der arbeitsfreie Sonntag ist eine Erfindung des Christentums.

Ein heute verbreiteter Begriff lässt in diesem Zusammenhang aufhorchen: „Work-Life-Balance“. Das klingt sehr danach, als sei die Arbeit doch ein Fluch, eine Last, bestenfalls ein notwendiges Übel. Erst wenn sie vorüber ist, kann man „richtig“ leben… Wer kennt das nicht? Jede Arbeit – selbst wenn man den bestmöglichen Job gefunden und quasi sein Hobby zum Beruf gemacht hat – wird irgendwann einmal zur Belastung. Auch die interessanteste Beschäftigung wird mit der Zeit banal und alltäglich. Das gehört mit zur Conditio Humana, zum Leben in einer „unerlösten“ Welt.

Wenden wir aber eine wohlwollend positive Interpretation des Konzeptes an: „Work-Life-Balance“ als Zustand des Gleichgewichts, bei dem die Arbeit im menschlichen Leben das richtige Maß und Gewicht erhält, so dass sie familienfreundlich und erfüllend ist und Zeit für die nötige Muße bleibt. So ist es eigentlich gemeint, und das schützt vor Burnout und verhindert, dass wir Workaholics werden.

Definition der Arbeit

In der Physik ist „Arbeit“ als „Überwindung von Widerstand“ definiert. Das ist in diesem Zusammenhang nicht weit hergeholt, es hat vielmehr heuristischen Wert: Aus einer gewissen Distanz betrachtet erkennen wir das Ganze besser. Denn Arbeit im hier gemeinten Sinne ist nicht eng zu definieren, weder als reine Erwerbstätigkeit, noch als bloßes Mittel zur Selbstverwirklichung.

Arbeit leistet auch die Hausfrau und Mutter, so sehr diese elementare Wahrheit in unserem Alltag verdrängt und von fanatischen Ideologen bekämpft wird[8]. Arbeit im spirituellen oder existenziellen Sinne ist nicht an Steuerpflicht und Regelarbeitszeit zu messen. Arbeit leistet auch die Ordensschwester in strenger Klausur, der Ehrenamtliche und sogar der Invalide, der nur mit Mühe seinen Alltag bewältigen kann. Sie überwinden Widerstand zu einem guten Zweck. Und deshalb arbeitet auch der Arbeitslose; seine Arbeit besteht darin, nach einer Beschäftigung zu suchen und sein Leben neu zu strukturieren.

Heiligung der Arbeit

Es bleibt nach allem was man über Arbeit und ihren Wert Gutes und Richtiges sagen kann, dennoch der Eindruck zurück, dass da noch etwas fehlt bzw. dass die Lücke zwischen Arbeit als Erfüllung und Arbeit als Last im Letzten nicht geschlossen werden kann. Ebenso ist es mit jenen zuletzt genannten Formen von Arbeit, die gesellschaftlich weniger oder gar nicht anerkannt sind. Es fällt schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass es – trotz aller guten Worte – ein unüberwindbares Gefälle gibt zwischen mehr und weniger gewürdigter Arbeit.

Eine wirklich überzeugende Überwindung dieser Aporie ist nur in spiritueller Weise möglich. Die Lösung gelingt mit dem Prinzip der „Heiligung der Arbeit“, wie es der Hl. Josemaría Escrivá entwickelt hat. Arbeit ist demnach nicht nur Mittel der persönliche Existenzsicherung und Hilfe zum Erhalt sozialer Bezüge, sondern ganz besonders auch „Weise und Weg der Heiligkeit, zu heiligende und heiligende Wirklichkeit“[9].

Katholisches Arbeitsethos

In diesem Geiste heiligen wir nicht nur die erbrachte Arbeit, sondern auch uns selbst und die Menschen, mit denen oder für die wir arbeiten. Jeder Mensch kann das so erfahren und leben, ganz ohne theologische Studien oder Lehrgänge, sei es als Busfahrer oder als Professor, als Chefärztin in der Klinik, oder als Kassiererin im Supermarkt, als Journalist oder Handwerker, als Hausfrau und Mutter ebenso gut wie als Firmenchefin.

Ertrag und Nutzen jeder Arbeit, seien sie auch noch so groß und bedeutend, sind zeitlich und vergehen. Sub specie aeternitatis bleibt nur der spirituelle Aspekt. Heiligung der Arbeit ist demnach kein „Extra“, nicht eine nette Zugabe zum irgendwie gearteten Arbeitsleben, sondern der eigentliche Kern menschlicher Aktivität. Escrivá geht so weit zu sagen, dass Arbeit „in Gebet verwandelt“ werden kann. Daraus ergibt sich von selbst, dass es nur um ehrliche, anständige Arbeit gehen kann und dass sie gut getan sein muss. Zwangsarbeit und „entfremdete Arbeit“ lassen sich ebenso wenig heiligen, wie schlampig und nachlässig verrichtete. Heiligung der Arbeit ist demnach – ganz nebenbei – auch ein Beitrag zu einem katholischen Arbeitsethos, und zwar einem, dass befreiend und inspirierend zugleich wirkt.


[1]Vgl. a. Lk 16,8.

[2]https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_14091981_laborem-exercens.html

[3]Laborem exercens V. / Nr. 24-27 („Elemente für eine Spiritualität der Arbeit“).

[4]Ebd. Nr. 25. Karol Wojtyla / Johannes Paul II. ist für seine „Theologie des Leibes“ bekannt. Ebenso bedeutsam sind jedoch seine Arbeiten zu einer „Theologie der Arbeit“. Vgl. a. https://opusdei.org/de/article/unterwegs-zur-hundertjahrfeier-4-arbeit-als-teilhabe-am-projekt-gottes/

[5]Laborem exercens Nr. 26.

[6]Gen 1, 15: „Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und hüte“.

[7]Fun Fact: In Japan wird das deutsche Wort „Arbeit“ als Fremdwort benutzt: Es bedeutet „Teilzeit“…

[8]Auf die Frage „arbeitet Ihre Frau?“ habe ich immer mit einem klaren „Ja!“ geantwortet, wohl wissend, dass die Frager sich eigentlich nicht für Haushaltsführung und Kindererziehung interessierten, nicht für Schulaufgabenhilfe oder Ehrenamt, nicht für soziales Engagement oder Pflegearbeit, sondern nur für Erwerbstätigkeit. Wir sollten im Alltag besser auf unsere Sprache achten.

[9]Brief 14, Nr. 4. Vgl. Link in Anm. 4.