(Bild: Christus in der Wüste, Ivan Kramskoi, 1872, Tretjakow-Galerie, Moskau – eine ausführlicher Kommentar zum Bild und zum Künstler finden Sie > hier)

In der Bibel kommt oft die Wüste vor – als Ort der Bedrohung und Gefahr, aber auch als Ort der Zuflucht und Kontemplation. Die Wüste als „Topos“, als Ort im eigentlichen und im übertragenen Sinne, zieht sich durch die ganze Hl. Schrift, von den vierzig Jahren, die das Volk Israel durch die kargen, trockenen Steppen des Vorderen Orients zog, bis zu den Versuchungen Jesu in der Wüste von Juda. Sich daran zu erinnern mag helfen bei der Betrachtung der Situation des christlichen Glaubens in unserer Zeit. Leben wir nicht wieder einmal in einer spirituellen Wüste, in der die Glaubenspraxis geschwunden ist und christliche Werte weithin verdrängt[1] werden?

Inmitten dieser sterilen Wüste werden wir nicht selten von Luftspiegelungen und Täuschungen genarrt, von sektiererischen Irrungen und ideologischen Wirrungen; oder wir werden von vagabundierenden „Pathologien von Religion“[2] sogar physisch bedroht. Allerdings gibt es in all dieser Ödnis doch ein paar wunderbare Oasen, in denen sich ein gutes religiöses Mikroklima gehalten hat und die sogar wieder wachsen. Im Folgenden wollen wir einige davon betrachten – einschließlich der Frage, warum das alles für Menschen unserer Zeit äußerst relevant ist.

Fasten – Besinnung und Befreiung

Das Fasten erlebt seit einigen Jahren ein regelrechtes Comeback. Wie nützlich eine Zeit der Nüchternheit und des Verzichtes sein kann, und dass so etwas zumindest physiologisch von Wert ist, hat sich herumgesprochen – spätestens seit sich der Begriff „Heilfasten“ im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert hat. Wie steht es aber um den ursprünglichen, den spirituellen Sinn des Fastens? Geht es wirklich nur um Essen und Trinken[3]? Warum muss das zu einer bestimmten „Fastenzeit“ sein? Und wie lässt sich das jungen Leuten sinnvoll vermitteln?

Unsere Gesellschaft ist sehr auf Haben und Konkurrieren ausgerichtet. Die Grundfrage bei allen Tätigkeiten ist: „Was bringt mir das“? Selbst da, wo nicht Leistungsdruck und Prüfungsstress herrschen, besteht doch fast immer eine Art „Peer Pressure“, sogar in der Freizeit. Auf Instagram überbieten wir uns gegenseitig mit Bildern aus exotischen Urlaubsländern und von exklusiven Orten, als ob der tägliche Wettbewerb in Schule, Studium, Beruf noch nicht genug wäre.

Und wie selbstverständlich wird ein positives Selbstbild mit Erfolg, und Erfolg mit materiellen Vergütungen oder Belohnungen verbunden. Immer weniger geschieht um seiner selbst willen; fast alles ist „verzweckt“. Kein Wunder also, dass Suchtverhalten und Depressionen schon bei jungen Leuten zunehmen. Und so erscheinen plötzlich „Auszeiten“ und bewusste Verzichtsübungen attraktiv, auch wenn es nur um eine Verschnaufpause geht, vor der Rückkehr in den „Alltagsstress“.

In Kindergärten gibt es gelegentlich Programme, in denen die Kleinen für einige Wochen ohne Spielzeug auskommen; das dient der Kreativität und beugt tatsächlich späterem Suchtverhalten und Abhängigkeiten vor. Wer nicht als Kind lernt, dass Verzicht etwas Positives sein kann, der wird erst recht nicht als Erwachsener begreifen, was Zurückhaltung, Achtsamkeit, Dankbarkeit bedeuten.

Woher kommt die Fastenzeit?

Das alles aber sind in Wirklichkeit nur positive materielle Begleiterscheinungen des religiös begründeten Fastens. In der christlichen Tradition hat es seinen festen Platz im Kirchenjahr, vor allem in der Zeit vor Ostern[4]. Wir begreifen dann, dass die materiellen Dinge, die uns sonst so sehr bestimmen und abhängig machen, sub specie aeternitatis[5] ihre Bedeutung verlieren. Wenn diese Erkenntnis über das rein intellektuelle Verstehen hinaus in unser Innerstes „einsinkt“, dann schützt es uns vor Trübsinn und innerer Leere[6] und öffnet den Blick auf das Wesentliche.

In der Katholischen Kirche gilt das klassische Fastengebot für die Altersgruppe zwischen 18 und 59 Jahren, in der Zeit von Aschermittwoch bis Ostern. Aber es ist natürlich nicht „verboten“ auch in höherem Alter noch zu fasten, oder zu anderen Zeiten des Jahres (z.B. vor Weihnachten). Es gibt  Ausnahmen für Schwangere, Reisende, Kranke, Menschen in besonderen Lebenssituationen. Aschermittwoch und Karfreitag sind jedoch für alle Gläubigen strenge Fast- und Abstinenztage, an denen man sich nur einmal satt isst und dabei ganz auf Fleisch verzichtet.

Das alles geschieht nicht aus diätetischen oder medizinischen Gründen, sondern als Vorbereitung auf das Osterfest. Es hilft uns dabei, das Leiden und Sterben Christi – das wichtigste Ereignis der Menschheitsgeschichte und das einzige, das jeden einzelnen Menschen aller Zeiten und Kulturen direkt und zutiefst betrifft – bewusster wahrzunehmen und die Passionszeit innerlich mitzuerleben[7]. Neben dem Fasten sind auch Gebet und Wohltätigkeit seit alters feste Bestandteile dieser besonderen Zeit im Jahr. Und am Ende steht dann die Freude über Ostern – nicht über verlorene Pfunde oder das endlich wieder „erlaubte“ Bier[8], sondern über das Wunder der Auferstehung Christi, das zugleich die Überwindung des Todes überhaupt bedeutet.

Perfekt für junge Leute…

Fasten ist nicht nur etwas für Erwachsene oder gar nur für alte Leute. Junge Leute sehnen sich nach Spiritualität, auch wenn sie es nicht so ausdrücken. Sie suchen nach Sinn und Geborgenheit; sie fühlen unbewusst, dass das Leben mehr ist als Materie und Funktion. Eine kalte, materialistische Umwelt lässt dieses Wissen verkümmern, aber es verschwindet nie ganz. Wir müssen ihnen gar nichts einreden oder gar aufzwingen, das wäre verfehlt und ohnehin kontraproduktiv. Aber wir haben eine Verantwortung für ihr seelisches Wohl und dürfen ihnen diese Dimension des Lebens nicht vorenthalten – sei es aus Scham oder falschem Verständnis von Selbstbestimmung.

So wie wir unsere Kinder zu gesunder Ernährung anhalten, so müssen wir auch auf ihr seelisches Wohl bedacht sein. Es reicht dabei völlig, ein gutes Beispiel zu geben, für Fragen offen zu sein und ehrliche Antworten zu geben. Strenge und Zwänge haben da nichts zu suchen.

Sprechen wir also vor und in der Fastenzeit darüber, warum wir fasten; sprechen wir über den Glauben. Beten wir selbst – und beten wir mit unseren Kindern (egal welchen Alters). Wenn uns das freie Beten im Familienkreis schwerfällt, dann können wir genauso gut auf die vielen wunderbaren Gebete der Kirche zurückgreifen – angefangen mit dem Vaterunser, das Jesus uns selbst gegeben hat! Die Fastenzeit ist die perfekte Zeit, um bewährte christlich-meditative Traditionen wieder neu zu erleben, das Beten des Rosenkranzes[9], die Kreuzwegandacht[10] und schließlich die wunderbaren Liturgien der Karwoche und des Osterfestes.


Anmerkungen

[1]Auch das im doppelten Wortsinn – physisch in der Öffentlichkeit und psychisch im Bewusstsein der Gläubigen.

[2]So bezeichnete sehr treffend Papst Benedikt XVI.  religiöse Aberrationen, die sich in Terror und Gewalt manifestieren.

[3]Für Jugendliche wäre es von Nutzen, in der Fastenzeit z.B. einmal auf Computerspiele oder Handy-Nutzung zu verzichten. In Unterhaltungselektronik und sozialen Netzwerken lauert ein neues Suchtpotential – ohne dass die alte Bedrohung durch Drogen abgenommen hätte.

[4]Daneben gibt es selbstverständlich die Möglichkeit des persönlich motivierten Fastens auch zu anderen Zeiten.

[5]Unter dem Aspekt der Ewigkeit.

[6]Das ist sogar klinisch nachweisbar; religiös geprägte Menschen leiden deutlich seltener und weniger unter Depressionen.

[7]Vgl. a. Katechismus der Katholischen Kirche, Kompendium. Nr. 106 und 301.

[8]Worauf man in der Fastenzeit verzichtet ist jedem Gläubigen frei gestellt. Außer an Aschermittwoch und Karfreitag muss es sich nicht in erster Linie auf Essen und Trinken beziehen.

[9]Vgl. Beitrag „Meditation Old School“.

[10]Vgl. Beitrag „Via Crucis“.